Persönliche Gedanken zum April-Kalenderblatt und warum wir uns für dieses Bild im Heimatkalender entschieden haben.

von Maarten Sillekens
[Anm.Red. siehe Beitrag „Der April im Heimatkalender“: http://www.nuthe-blaettchen.de/?p=1602 ]
Bei der Diskussion in der Kalender-Arbeitsgemeinschaft der Heimatfreunde, waren alle Mitglieder recht locker, als ich erklärte gar kein Problem mit diesem Bild zu haben, „es passte eben zu dieser Zeit“. Und jetzt stehe ich noch mehr dazu:
Wenn ich selbst das Bild betrachte, sehe ich im Hintergrund eine Gaststätte in Kuhberge, mit hier bekannten Familiennamen und im Vordergrund ein schönes Gespann, mit Kutsche und vor allem MENSCHEN, nämlich deftig angezogene Leute, einen Kutscher und ja, 2 Leute in Wehrmachtsuniform. Es war das Jahr 1940. In dem Jahr davor hatte der Zweite Weltkrieg mit dem Polen-Einmarsch angefangen. Also wurden, denke ich, damals Männer in die Armee eingezogen, ob sie wollten oder nicht. Laut meinen Geschichtskenntnissen war der Einmarsch in den Niederlanden, wo ich zufälligerweise geboren bin, Anfang Mai 1940. Ich weiß nicht zu welcher Jahreszeit dieses Bild aufgenommen wurde. Die Gesichter der beiden Leute in Wehrmachtsuniform schauen mir nicht sehr euphorisch. Der Herr in der zweiten Reihe scheint eher tief in Gedanken versunken, die Dame interessiert in das, was der Herr mit dem hohen Hut sagt. Ich weiß nicht, was diese Armee-Mitglieder schon an Kriegserfahrungen gesammelt haben und sie wissen höchstwahrscheinlich selbst auch nicht was ihnen noch bevorsteht.
Was habe ich über diese Kriegszeit und ihren Menschen von meinen eigenen Familienvorfahren gehört? Aufgewachsen bin ich in Heythuysen, etwa 20 km nördlich von Belgien und 25 km westlich von Deutschland. Meine Vorfahren, väter- und mütterlicherseits, hatten beide landwirtschaftlich geprägte Betriebe, väterlicherseits auch noch eine Kükenbrüterei dazu, mit Export bis nach Nord-Frankreich.
In Heythuysen war die Einnahme durch die Deutsche Armee im Mai 1940 ruck-zuck erledigt; die Niederländer fühlten sich neutral und hatten gar keine aufgerüstete Armee. Die Stadt Rotterdam wurde heftig bombardiert, eine Königin flüchtete nach England; ihre Nachfolgerin nach Canada und damit hatte man auf einmal wieder mehr Deutsche im Land. In den Dörfern, außer am Fluss Maas, wurde also kaum gekämpft.
Bei meinen Vorfahren waren immer deutsche Soldaten einquartiert. Sie fanden Unterkunft im gut ausgebauten Keller im mehrstöckigen Haus. Laut meinem Vater und meiner Großmutter hatte man am Anfang natürlich Angst vor diesen Leuten, aber Sie haben sich immer ihnen gegenüber menschlich verhalten. Mein Großvater nutzte während der Abwesenheit der Soldaten öfter ihr Radio, um Radio „Orange“ aus London zu hören, die immer ein Programm für die Niederländer brachten, wobei auch versteckte Botschaften für die Untergrundkämpfer verteilt wurden. Niederländer selbst durften deswegen keine Empfänger haben von ihrem Besatzer. Mein Großvater war aber sehr erschrocken, wie einer der Offiziere ihn bat „bitte nicht unser Radio zu benutzen, weil es einen „Neuen in der Truppe geben würde und man noch nicht wüsste, was es für einer war…“. (Die Wehrmachtssoldaten hörten nämlich auch mal Propaganda und Infos von zwei Seiten).
Angst hatte man während des Krieges vor allem beim Luftkrieg. Geregelt stürzten Flugzeuge ab bei den Angriffen auf das Ruhrgebiet. Meine Mutter, die das als Kind ganz nah erlebt hatte, durchlebte das noch sehr oft in ihren Träumen. Und Angst gab es auch gegen Ende des Krieges durch die Razzien, wo man Arbeitskräfte wegen Mangel an eigenen Männer entführt hatte. Meistens fanden die bei der Sonntagsmesse statt, weil die Menschen da ihr Glauben noch intensiver tätigten. Im Untergrund waren die 4 unverheiratete Geschwister, meine Großmutter väterlicherseits, sie haben vor allem Juden und alliierten Piloten geholfen. Sie hatten aber auch deutsche Soldaten im Haus einquartiert und waren deswegen nicht so „verdächtig“.
Als der Blitzkrieg vorbei war und langsam alle kriegsmüde wurden, sagten die deutschen Soldaten auch zu meinen Vorfahren, dass sie nun am liebsten zuhause wären, bei ihren Familien. Viel später, beim Rückzug vor den Alliierten waren viele verwundete Soldaten dabei, die dann auch einfach in unseren Scheunen übernachteten. Die Keller waren übervoll mit Offizieren und auch der eigenen Familie, wegen der Bombardements und Beschießungen.
Beim Rückzug wurden viele hohe Gebäude, wie Kirchtürme und Windmühlen gesprengt, aber es wurden auch einige von den Untergrundkämpfern gerettet, die versteckt in diesen hohen Gebäuden Drähte durchbrochen. Die Nikolauskirche aus dem Jahre 1504, worin ich getauft wurde, Kommunion, Firmung, Trauung und Taufe unserer Kinder erleben durfte, steht deshalb glücklicherweise auch noch…
Meine Mutter, Jahrgang 1937, wurde lebensbedrohend krank im Oktober 1944, kurz vor der „Befreiung“ von der Nazi-Zeit, was dort im November 1944 stattfand. Mein Großvater bat deutsche Offiziere meine Mutter mit einer schlimmen Arm-Entzündung bitte in das Krankenhause in Roermond, etwa 15 km entfernt, doch auf der anderen Seite des Flusses Maas zu bringen, um dort operiert zu werden, da sie andernfalls sterben würde. Antibiotika gab es damals noch nicht. Sie haben meine Mutter mit einem Kübelwagen transportiert, sie durfte drinnen sitzen und ein Soldat platzierte sich darum extra auf der Motorhaube. Sie sind so noch über die Brücke gekommen. Es war sehr gefährlich, da die Brücke über die Maas oft beschossen wurde. Nach einer gut gelungenen Operation sollte meine Mutter wieder nach Hause kommen, doch weil die Razzien auf Männer wieder zugenommen hatten, haben zwei Frauen sie mit einem Pferde-Gespann über die Brücke geholt und weiter mit Fahrrad (sie saß hinten) nach Hause gebracht, zu ihren überglücklichen Eltern. Am nächsten Tag war die Brücke über die Maas kaputt und die Seite blieb auch länger besetzt von der deutschen Armee.
Wenn ich diesen Artikel selbst noch mal kurz lese, werden mir die Augen etwas feucht. Ohne die MENSCHLICHKEIT dieser deutschen Soldaten damals würde dieser Artikel wahrscheinlich nicht geschrieben werden, da es meine Mutter nicht mehr gegeben hätte…..
Diese Uniformträger waren MENSCHEN, die meistens mit Liebe durch ihre Eltern auf die Welt gekommen sind und haben immer das Beste mit ihnen vorgehabt. Diejenigen, die ihre MENSCHLICHKEIT behalten konnten, unter allen schwierigen Umständen, haben viel Glück gehabt, oder sind eigentlich HELDEN…, so wie wir nach meiner Meinung alle sind, wenn wir menschlich bleiben und dafür „kämpfen“ …… (ohne Waffen, einfach mit Herz!).
Ich danke all diesen MENSCHEN, besonders auch denjenigen, die mich zum Nachdenken bewegt haben!
Maarten Sillekens, Strinum, im April 2019
Zum April- Kalenderblatt: “ Gastwirtschaft in Kuhberge um 1940 “
Der Artikel zu diesem Thema von Maarten Sillekens ist interessant und schön.
Ich habe mich in den 1960-iger- und 1970-iger Jahren oft dienstlich in der VR-Polen aufgehalten.
Abends in der Gaststätte bin ich des Öfteren von älteren polnischen Männern als Faschist beschimpft worden und ich bin nur ein paar Monate vor Kriegsende geboren.
Viele polnische Bürger hatten mit deutschen Soldaten bestimmt keine guten Erfahrungen gemacht.
Ich hätte mir für das April- Kalenderblatt die schöne Pferdekutsche, aber ohne Personen mit Wehrmachtsuniform, gewünscht.
Martin Reichel, Strinum, 05.Mai 2019